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Mit einem beschleunigten Strukturwandel das Rheinische Revier zur Modellregion der Energiewende machen

6. Februar 2023

Der Bundestag hat einen Entschließungsantrag zum Gesetz zur Beschleunigung des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier beschlossen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen beschleunigten Strukturwandel entsprechend zu prüfen und das Investitionsgesetz Kohleregionen bzw. das Strukturstärkungsgesetz anzupassen.

Einen Vorschlag zur Beschleunigung des Strukturwandels und zielgerichteten Verwendung der Fördermittel haben die Gesellschafter der Zukunftsagentur Rheinisches Revier auf Initiative der Anrainerkommunen bereits in ihrem einstimmig getragenen 11-Punkte-Papier vom 22.12.2021 gemacht, dass an Bundes- und Landesregierung adressiert war. Zudem hat die IHK Mittlerer Niederrhein mit Vertreter:innen aus den Kommunen, den Gewerkschaften und der Agentur für Arbeit auf den dringenden Handlungsbedarf für Veränderungen im Prozess des Strukturwandels hingewiesen.

Dabei ist vor allem die Umsetzung folgender Forderungen notwendig, damit es zu einer Beschleunigung des erfolgreichen Strukturwandels und einer zielgenauen Verwendung der Fördermittel kommt:

 

  1. Formulierung einer eigenständigen investiven Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie):Viele der bisher mit einem Förderbescheid versehenen Projekte im Rheinischen Revier haben nichts mit einer gelingenden Transformation, dem Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von neuen tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen zu tun. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die bestehenden Förderrichtlinien nicht zur Unterstützung von Transformationsprozessen geeignet sind. Dadurch kommt es zu einer großen Fehlsteuerung der Fördermittel.

Mit der STARK-Richtlinie ist zwar ein neues Instrument des Bundes zur Förderung konsumtiver Aufwendungen im Rheinischen Revier geschaffen worden. Es fehlt aber das 2. Standbein einer investiven Förderrichtlinie für den Strukturwandel. Die Förderinstrumente müssen deshalb dringend weiterentwickelt und eine eigenständige investive Förderrichtlinie des Bundes (Transformationsrichtlinie) zur Unternehmensförderung erlassen werden, damit die von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ formulierten Ziele für den Strukturwandel, nämlich der Aufbau neuer nachhaltiger Wertschöpfungsketten und die Schaffung neuer nachhaltiger, industrieller und tariflich abgesicherter Arbeitsplätze, zielgenau erreicht werden können.

Eine solche investive Transformationsrichtlinie für die Kohlereviere kann als Blaupause für die Transformation anderer Industriebranchen wie der Automobilindustrie, der chemischen Industrie oder der Stahl- und Aluminiumindustrie dienen.

Hierzu muss die Bundesregierung Gespräche mit der EU-Kommission mit dem Ziel führen, einen beihilferechtlichen Rahmen zu schaffen, der die Förderung unternehmerischer Investitionen als Mittel der Transformation in den Kohleregionen besser als bisher ermöglicht. Dies wäre zum Beispiel über die Etablierung des GRW-Rahmens auf das gesamte Gebiet der Anrainerkommunen im Rheinischen Revier oder durch die Formulierung einer eigenen „AGVO Strukturwandelregion“ auf EU-Ebene möglich. Mit diesem Instrument könnten zielgerichtete Unternehmensförderungen ohne Zustimmung der EU-Kommission ermöglicht werden.

  1. Planungsprozesse für Schienenvorhaben nach InvKG und die Ausweisung von Flächen in den Kommunen müssen dringend beschleunigt werden: Bisher ist eine Planungsbeschleunigung im Rheinischen Revier nicht zu erkennen. Dies gilt sowohl für die Schienenvorhaben nach InvKG als auch für die Ausweisung neuer Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete mit nachhaltigen Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätzen.

Laut Auskunft des BMDV wird das früheste Schienenprojektnach InvKG im Rheinischen Revier (S11-Ergänzungspaket) nach derzeitiger Einschätzung erst 2035 in Betrieb gehen, die anderen Schienenprojekte im Rheinischen Revier noch deutlich später nach dem Kohleausstieg. Für die Menschen im Rheinischen Revier ist das ein unhaltbarer Zustand. Es darf keine Diskrepanz zwischen Ausstieg und Aufbau geben. Beides muss Hand in Hand gehen.

Es müssen deshalb Maßnahmen ergriffen werden, um die Schienenprojekte im Rheinischen Revier gem. §21 InvKG beschleunigt und prioritär umzusetzen. Dazu gehört zum Beispiel die Aufnahme des S-Bahn-Netz Rheinisches Revier (Anlage 4, Abschnitt 2, Nr. 38, nach §21 InvKG) in §2a des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes. Aber auch weitere Maßnahmen der Planungsbeschleunigung für die Schienenvorhaben müssen dringend ergriffen werden. Hierzu könnte u.a. auch das Instrument des überragenden öffentlichen Interesses angewendet werden.

Nicht anders gilt dies für die Ausweisung von Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete. Mit dem bisherigen Tempo dauert die Entwicklung eines Gewerbegebietes von der ersten Planung bis zur Ansiedlung bis zu zehn Jahre. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Industrieunternehmen und klimaneutraler Energieerzeugung kommt eine Flächenbereitstellung mit dieser zeitlichen Perspektive viel zu spät. Die Etablierung von Sonderplanungszonen und Sonderflächen zur Prozessbeschleunigung ist deshalb kurzfristig dringend geboten.

  1. Kommunaler Grunderwerb und Flächenaufbereitung muss als eigener Fördergegenstand eingeführt werden: Im Entschließungsantrag wird begrüßt, dass im Rahmen der Zuständigkeiten, Rückkäufe von Grundstücken im Rheinischen Revier ermöglicht werden sollen. Für die Anrainerkommunen ist dies ein wichtiger Punkt. Der Zusatzbedarf der Kommunen an Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete muss anerkannt werden, Flächenpoollösungen ermöglicht und thematisch auf eine konsequent zukunfts- und angebotsorientierte Flächenentwicklung umgestellt werden. Im Besonderen müssen wir Maßnahmen entwickeln, die den Kommunen ermöglicht Konversionsflächen zu erwerben. Beispielhaft könnte dies auch in Partnerschaft mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben erfolgen.
  2. Ewigkeitslasten bei Bergschäden, im Wassermanagement und der Rekultivierung absichern: Die Folgen der Tagebaue im Rheinischen Revier durch jahrzehntelanges Befüllen mit Wasser zur Bildung einer Seenlandschaft, die Anforderungen an das weitere Wassermanagement, die Rekultivierung der Tagebauflächen oder die Regulierung von Bergschäden werden den Förderzeitraum bis 2038 als Ewigkeitslasten überdauern. Hierzu fordern die Anrainerkommunen gesetzliche Regelungen ein. Zusätzlich ist eine „Ewigkeitsverpflichtung“ des Bundes und des Landes anzustreben, die die zuvor ausgeführten mittel- und langfristigen Nachlaufeffekte des Strukturwandels finanziell verbindlich absichern.

Eine herausgehobene Rolle für die zukünftige Entwicklung des Reviers spielt hierbei das Wasser im Rheinischen Revier. Durch die jahrzehntelange Übernutzung des Grundwasserhaushalts hat sich die Wasserlandschaft, sowohl bezogen auf das Grundwasser, als auch in Bezug auf die Oberflächengewässer, radikal verändert. Viele Flüsse und Gewässer werden deutlich geringere Mengen an Wasser oder gar kein Wasser mehr führen. Das schafft einen erheblichen Verlust für die Natur, der verhindert werden sollte.  Ein zukünftiges Revier-Wassersystem muss über mehrere Jahrzehnte erst wieder neu hergestellt werden. Dies bedeutet auch, dass die Wasserversorgung im Rheinischen Revier langfristig sichergestellt werden muss. Hierfür bedarf es gesetzlicher Regelungen und Fördermaßnahmen.

  1. Anpassung des APG: Im Entschließungsantrag wird die Anpassung der flankierenden arbeitspolitischen Maßnahmen wie des Anpassungsgeld (APG) gefordert. Das APG ist das zentrale Instrument für die Absicherung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Kohlerevieren. Bei der Umsetzung des Kohleausstiegs bis 2030 bleibt das Sicherheitsversprechen für die älteren Beschäftigten in den Tagebauen und Kraftwerken das zentrale Anliegen. Für die Betroffenen ist es existentiell, Planbarkeit und verlässliche Zusagen zu erhalten. Die Gewerkschaften fordern deshalb, dass alle Beschäftigten, die bei dem ursprünglich vorgesehenen Kohleausstieg bis 2038 APG-berechtigt sind, auch bei einem vorgezogenen Ausstieg diesen Anspruch behalten. Das betrifft alle Mitarbeiter ab Geburtsjahr 1985 und älter..
  2. Fort- und Weiterbildung stärken: Gut ausgebildete Fachkräfte arbeiten im Rheinischen Revier in einer Vielzahl von Industriebranchen. Das ist ein großer Schatz und Vorteil für die Region. Nicht alle von ihnen werden sozialverträglich aus dem Job scheiden können. Daher benötigt es durch die Revieragentur passgenaue Qualifizierungsmaßnahmen für die Jobs der Zukunft. Mit diesen Maßnahmen sowie den bereits beschriebenen Förderinstrumenten zum Aufbau von neuen nachhaltigen Wertschöpfungsketten und der Schaffung von tariflich abgesicherten Industriearbeitsplätzen bieten wir auch der jüngeren Generation eine Perspektive und Sicherheit im Wandel.
  3. Übertragbarkeit der Fördermittel in die nächsten Förderperioden des InvKG sicherstellen: Die Reste in der Titelgruppe 04 (Maßnahmen zur Förderung der Kohleregionen gemäß Strukturstärkungsgesetz) im Bundeshaushalt sind sehr hoch. Für 2022 betragen diese 1 907 533 T EUR. Die Reste ergeben sich natürlich auch aus 2020, 2021 und 2022. Dennoch ist das fast der gesamte Ansatz für 2022 (1 979 255 T EUR), der sich bisher an nicht ausgegebenen Fördermitteln aufgebaut hat. Laut Bericht der Bundesregierung zum Umsetzungsstand des InvKG vom 03.11.2022 wurden mit Stand 31.07.2022 lediglich rund 63 Millionen Euro verausgabt. Es ist also dringend notwendig, die Übertragbarkeit der Fördermittel in die nächste Förderperiode des InvKG sicherzustellen.
  4. Der beschleunigte Kohleausstieg bereits in 2030 muss das Lockern der „beihilferechtlichen Bremsen“ zur Folge haben: Wenn es entsprechend eines beschleunigten Kohleausstieges auch zu beschleunigten unternehmerischen Investitionen in neue nachhaltige Wertschöpfungsketten und industrielle Arbeitsplätze kommen soll, muss sich die Bundesregierung in Brüssel dringend für bessere beihilferechtliche Rahmenbedingungen einsetzen. Der beschleunigte Ausstieg aus der Kohle entspricht den Zielen des New Green Deals in der EU und rechtfertigt somit – auch angesichts des beschleunigten Abbaus von Arbeitsplätzen – die Gewährung entsprechender beihilferechtlicher Erleichterungen seitens der EU.
  5. Energieversorgung sicherstellen: Maßnahmen zum Ausbau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, einschließlich dazugehörender Infrastruktur, müssen nun entwickelt und umgesetzt werden. Der Hochlauf der Wasserstofftechnologie und der weitere Ausbau dieser Technologie wird nur gelingen, wenn es klare Rahmenbedingungen für Investitionen gibt. Gleichzeitig stellen wir u.a. damit die Energieversorgung sicher und schaffen den energieintensiven Unternehmen eine Perspektive, an den Standorten im Rheinischen Revier weiter zu investieren.
  6. Innovative Ansiedlungspolitik ermöglichen: Damit wir aus der Jahrhundertaufgabe, den Wandel in Arbeit und Wirtschaft zu gestalten, endlich eine Jahrhundertchance für das Rheinische Revier machen, benötigen wir eine innovative Ansiedlungspolitik. Daher sind wir auch in der Verantwortung, Anreize für große Investitionen von Zukunftstechnologien in die Region zu ebnen. Dazu ist eine kluge Ansiedlungsstrategie von Land und Bund erforderlich. Beispielhaft sei hier die Investitionsentscheidung von Infinion in Magdeburg genannt. Ein Projekt in dieser Größenordnung hätte erhebliche positive Effekte auf die Wertschöpfung in der Region.

Fazit:

Aus den bisherigen Erfahrungen mit dem InvKG bzw. Strukturstärkungsgesetz wird klar, dass es für einen erfolgreichen Strukturwandel auch darauf angepasste Maßnahmen geben muss. Bleibt es bei dem Standard-Instrumentenbesteck des Bundes und des Landes, sind auch nur die Standard-Ergebnisse zu erwarten.

Zusätzlich muss die Landesregierung NRW die in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Förderprogramme und Förderprojekte forcieren. Der bislang auch im Vergleich zu anderen Revieren mangelhafte Abfluss an Fördermittel zeigt sehr deutlich, das der Strukturwandel im Rheinischen Revier in den vergangenen Jahren keine hohe Priorität genossen hat. Es bedarf einer eindeutigen Verantwortungsstruktur innerhalb der Landesregierung, welche nicht nur als Ansprechstelle für die Kommunen fungiert, sondern auch Entscheidungskompetenzen besitzt, um die Strukturwandelprojekte gemeinsam mit den Kommunen, Gewerkschaften, Beschäftigten und Unternehmen in die Umsetzung zu bringen.

Trotzdem begreifen wir den technischen Fortschritt nicht als Bedrohung, die man bremsen oder aufhalten soll. Wir wollen den Wandel, egal ob er durch Energiewende oder Digitalisierung getrieben ist, gestalten, so dass wir weiter Produktionsstandort für Produkte und Dienstleistungen des 21. Jahrhunderts sein können. Wir achten dabei darauf, dass jede und jeder seine Chance bekommt und niemand im Strukturwandel einfach ins Bergfreie fällt. Wir trennen nicht zwischen Old- und New-Economy, sondern wir arbeiten daran, wie unsere Wertschöpfungsketten ins 21. Jahrhundert weiter geführt werden. Und uns ist wichtig, dass der Wohlstand, der aus technischen Fortschritt entsteht auch gerecht verteilt wird.

Strukturwandel heißt für uns nicht, dass industrielle Strukturen abgebaut, sondern dass diese weiterentwickelt werden, um gute und tariflich abgesicherte Arbeitsplätze zu erhalten. Bund und Land müssen hierfür die notwendigen Voraussetzungen schaffen.

Das Rheinische Revier hat die große Chance, den anstehenden Strukturwandel nun so zu gestalten, dass es sich ausgehend von seinen Stärken und Traditionen als die Energieregion der Zukunft positioniert. In dieser Region kann das Zusammenspiel einer nachhaltigen Energieerzeugung mit den Erfordernissen und Möglichkeiten einer energieintensiven Industrie erfolgreich erprobt und in großem Maßstab umgesetzt werden. Dazu bedarf es großer Anstrengungen, sowohl bei Forschung und Entwicklung, dem Rück- und Umbau von konventioneller Energieinfrastruktur, der Erschließung geeigneter Flächen, dem Umbau der Verkehrsinfrastruktur wie auch in den Produktionsprozessen und Geschäftsmodellen von Industriebetrieben. Nicht zuletzt die Lebensqualität in der vom Tagebau geprägten Region erfordert bei der Rekultivierung, aber auch bei der Erschließung von Tourismuspotenzialen, der Bewahrung von Industriekultur und guten Wohn- und Siedlungsbedingungen für attraktive Dörfer und Städte umfassende Maßnahmen und abgestimmte Strategien der betroffenen Kommunen.

Historisch und strukturell ist das Ende der Braunkohleverstromung ein Bruch für die Region und die Menschen, die hier leben und in der Kohleverstromung über Generationen verwurzelt sind. Es ist aber auch eine große Chance, Forschung, Gewerbe und Industrie von morgen zu uns zu holen. Lasst uns gemeinsam die Chance ergreifen.

Insofern handelt es sich bei der Verbesserung des Instrumentenbestecks für einen erfolgreichen Strukturwandel um eine Erfolgsvoraussetzung für die ökologische Transformation unserer Industriegesellschaft.

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