Michelle Müntefering Beitragsbild

Freundschaftliche Förderung statt Säbeltanz – Marshalls Erbe und die transatlantischen Beziehungen

Foto: Jorinde Gersina

von Michelle Müntefering MdB

Vor 70 Jahren, am 5. Juni 1947, stellte der US-amerikanische Außenminister George C. Marshall in einer Rede an der Harvard Universität die Grundzüge seines European Recovery Plan (EPR) vor – der als „Marshallplan“ eines der größten Wirtschaftsaufbauprogramme für Deutschland – und zugleich die Grundlage einer engen wirtschaftlichen Kooperation der USA und Europa werden sollte.

Noch bis 1946 sollte laut Morgentau-Plan Deutschland agraisiert werden und so zu einem riesigen Bauernhof werden. Doch Marshall sah in Kohle und Stahl die Wirtschaftswunderkraft und legte damit auch Spur zur späteren Montanunion, die 1950 gegründet werden sollte. Im

1946 gegründeten NRW entstand die Region, die es möglich machen sollte: Das Ruhrgebiet.

Marshall verkündete, dass nachhaltiger Friede und Demokratie für Europa nur durch stabile und freie wirtschaftliche Verhältnisse gesichert werden könnten. Ausdrücklich bekannte er: „Das ist Sache der Europäer selbst. Ich denke, die Initiative muss von Europa ausgehen. Unsere Rolle sollte darin bestehen, den Entwurf eines europäischen Programms freundschaftlich zu fördern und später dieses Programm zu unterstützen, soweit das für uns praktikabel ist. Das Programm sollte ein gemeinschaftliches sein, vereinbart durch einige, wenn nicht alle europäischen Nationen.“

In den folgenden Jahren flossen rund 13 Mrd. Dollar (das entspricht heute etwa 129 Mrd. Dollar) in Form von Waren, Lebensmitteln und Krediten an 16 westeuropäische Länder, um die Not der Bevölkerung zu lindern. Mit diesem Geld konnten und sollten die Europäer vor allem Rohstoffe und Waren aus den Vereinigten Staaten erwerben – auch, um einen Absatzmarkt für den dortigen Produktionsüberschuss zu schaffen. Zudem lag es im amerikanischen Interesse, die Popularität des Kommunismus in Europa durch diese Zuwendungen zurückzudrängen; das befreite Deutschland erlangte so nur kurze Zeit nach Beendigung der Nazi-Herrschaft eine geostrategische Bedeutung.

Die Sozialdemokratie unter Kurt Schumacher entsagte dem Kommunismus und stabilisierte die Demokratie aus der Opposition und führte die SPD in die Westbindung, die über ein Jahrzehnt später auf dem Godesberger Parteitag 1959 in ihre Grundsatzprogrammatik aufgenommen wurde.

Letztlich lag Marshall mit seinem nicht uneigennützigen Plan goldrichtig: In Europa sind Feinde zu Partnern geworden, die ihre Grenzen füreinander geöffnet und aus den Trümmern des Weltkriegs einen der stärksten Wirtschaftsräume der Welt geschaffen haben. Ein Leben in Wohlstand, Freiheit und Sicherheit wurde zum europäischen Selbstverständnis.

Und obwohl die finanzielle Unterstützung aus dem ERP nur vier Jahre dauerte (1948-1952) dauerte, hinterlässt der Marshallplan bis heute Spuren: Das Abkommen über die Europäische Zahlungsunion etwa ebnete durch Mittel aus dem Marshallplan den Weg zu einem europäischen Binnenmarkt; der zur Koordinierung der Finanzhilfen gegründete „Ausschuss für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit“ (OEEC) sollte zu einem Vorläufer der institutionellen Integration werden – und was als reiner Verwaltungsapparat für Hilfsmittel begann, ist heute in Form der OECD eine der prägendsten internationalen Organisationen überhaupt.

Dass dies nicht selbstverständlich vorhersehbar war, rief Außenminister Gabriel kürzlich anlässlich der Eröffnung der Atlantikkonferenz in Erinnerung: „Die europäische Einigung hatte nicht nur europäische Väter und Mütter, sondern auch amerikanische.“

Anlässlich einer neuen US-Administration und neuen Ungewissheiten können wir heute nur hoffen, dass auch der 45. amerikanische Präsident noch zu der Überzeugung gelangt, die Balance zwischen eigenen nationalen Interessen und europäischer Stabilität als Basis des künftigen transatlantischen Verhältnisses anzuerkennen. Donald Trump ist gut beraten, das Erbe Marshalls nicht aufs Spiel zu setzen.

Eine provozierende Isolationismus-Politik und ungestüme Twitter-Rhetorik wollen so gar nicht passen zu dem 70 Jahre alten Fundament der transatlantischen Freundschaft, dass Trump diese Irritationen in Kauf nimmt, gar betreibt, konterkariert die Partnerschaft, die Europa und die USA bislang verbindet. Diese war eben immer mehr als ein Deal. Sie beruhte immer auch auf Kooperation und Verlässlichkeit – und auf einer Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt.

Deutschland musste diesen Willen zum Frieden nach blutigen Kriegen erst mühsam wieder lernen. Nun müssen wir mutiger und entschlossener auch unsere Erwartungen gegenüber den USA benennen.

Angesichts neuer Kriege, einer drohenden Klimakatastrophe und dem Zerfall der Weltordnung, sollte Donald Trump sich das Erbe des Marshall-Planes vor Augen führen. Vielleicht könnte er daraus lernen, dass es heute wieder Teile der Welt gibt, die weitsichtiges Planen und freundschaftliche Förderung der USA weit mehr brauchen, als Polterei und Säbeltanz.

Drucken